Emotionen, viele offene Fragen und Kritik zur Möglichkeit der Beteiligung, zur Sache und zum geistlichen Prozess
Sehr geehrter Herr Generalvikar Dr. Hofmann,
am 16.09.2020 fand in der mit gut 50 Teilnehmern (unter Corona-Bedingungen) voll besetzten Kirche
St. Maria Königin das Seelsorgebereichsforum für Frechen statt zur Information über die „Pfarrei der Zukunft“. Aus technischen Gründen konnte die geplante Liveschaltung im Anschluss an die Vorführung des Videos nicht erfolgen, sodass wir von der Möglichkeit Gebrauch machen, unsere Stellungnahme schriftlich abzufassen und Ihnen zur Verfügung zu stellen. Nach dem Video fand ein ausführlicher Austausch unter den Teilnehmern statt, wobei sich einerseits eine große Betroffenheit abzeichnete, aber auch schon kritische Fragen zur Sache gestellt wurden, die der Moderator vor Ort nicht beantworten konnte. Wegen der Bedeutung der Angelegenheit hat der Pfarrgemeinderat kurzfristig für den 24.09.2020 zu einer außerordentlichen Sitzung mit seinen Ortsausschüssen und Vertretern der Kirchenvorstände eingeladen. Im Rahmen dieser Sitzung wurden die Reaktionen auf das Seelsorgebereichsforum vorgestellt, die entweder mündlich während der Veranstaltung, schriftlich am Ende des Forums und sowohl schriftlich als auch mündlich in den Tagen danach geäußert wurden. Im Wesentlichen lassen sich diese Rückmeldungen in 4 Gruppen einordnen, die insgesamt zu dem Votum unseres Seelsorgebereichs führen, dass wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt das von Ihnen vorgestellte Modell einer Pfarrei der Zukunft nicht gut heißen können und eine Überarbeitung des Konzepts in mehrfacher Hinsicht für dringend erforderlich halten.
I. Die in den Rückmeldungen geäußerten Emotionen
Wir sind uns im Klaren, dass Emotionen keine Argumente darstellen oder ersetzen können. Gleichwohl können sie nicht übergangen werden, wenn sie maßgeblicher Teil einer Basis sind, auf der Entscheidungen über die weitere Mitarbeit oder das Ausmaß eines ehrenamtlichen Engagements getroffen werden. Jede Rückmeldung enthielt auch einen emotionalen Aspekt. Es wurden Sprachlosigkeit, Enttäuschung, Frust, Ärger und Wut geäußert. Es fielen Worte wie „Katastrophe“ und „düstere Perspektiven“. Wir zitieren aus einigen E-Mails:
– Ich bin einfach nur erschlagen und entsetzt.
– Ich bin sehr enttäuscht und frustriert.
– Ich werde mir eine anderweitige Orientierung für das Ehrenamt suchen.
– Ich fühle mich ausgenutzt und bin empört, wie selbstverständlich hier über mich verfügt wird.
– Die Ehrenamtler werden gebraucht, aber nur da, wo es „passt“.
II. Verständnisfragen
Bedauerlicherweise hat das Video nicht für die Klarheit gesorgt, die nach der Lektüre der Begleitpräsentationen und dem Betrachten der völlig chaotischen Zielskizze wünschenswert gewesen wäre. Ganz abgesehen davon, dass sogar langjährige ehrenamtliche MitarbeiterInnen, die sich „eigentlich“ auskennen könnten, die Texte teilweise auch nach mehrfachem Lesen nicht verstanden haben, bleiben nach unserer Meinung wichtige Fragen völlig unklar:
– Wer bestimmt, welche Kirche Pfarrkirche wird?
– Wer bestimmt, in welchen Kirchen Eucharistie gefeiert wird?
– Wer bestimmt, wie das Geld in der Pfarrei verteilt wird?
… und wie viel für was?
– Wer genau kümmert sich um die Finanzen?
… auf der Ebene der Pfarrei
… auf der Ebene der Gemeinden?
– Gibt es einen Kirchenvorstand? Was genau werden dessen Aufgaben sein?
– Gibt es einen Pfarrgemeinderat? Wenn ja, auf welcher Ebene und in welchem Verhältnis steht er zu Pastoralteam (mit getauften und gefirmten Ehrenamtlern) einerseits und den Teams von Verantwortlichen andererseits? Wie viele zusätzliche Sitzungen und Treffen müssen alleine nur dafür stattfinden, um die ganzen Ebenen miteinander zu koordinieren?
– Was geschieht mit den derzeitigen Leitenden Pfarrern, die für die Leitung der 50 – 60 Pfarreien nicht (mehr) in Betracht kommen?
– Was heißt genau „verschlankte Verwaltung“ (ein Begriff aus dem Zielbild)? – Müssen die Leitenden Pfarrer in der Pfarrei der Zukunft sich wieder mit Verwaltungsaufgaben beschäftigen, die derzeit von angestellten Verwaltungsleitern sehr gut erledigt werden? Falls ja, was wird dann aus diesen angestellten Verwaltungsleitern?
– Ein Hauptargument für die Komprimierung auf 50 – 60 Pfarreien lautet, dass die Leitenden Pfarrer von Verwaltungsaufgaben durch deren Vereinfachung entlastet werden sollen und so mit dem Pastoralteam mehr Zeit für die Seelsorge haben. Dass mit der Verringerung der Anzahl der Pfarreien das zu betreuende Gebiet mit allem, was dazu gehört (Personal, Kindergärten etc.) größer wird und die Pfarreien dann vom Verwaltungsaufwand her mittelständischen Unternehmen ähnlich werden, ist ein Aspekt, der nach dem Eindruck der Teilnehmer noch gar nicht klar genug gesehen worden ist, weshalb dieses Argument überhaupt nicht nachvollziehbar ist.
– Im Video werden 4 Kriterien genannt, die eine Gemeinde ausmachen. Dort heißt es wörtlich: „Regelmäßig wollen wir miteinander schauen, ob diese Kriterien erfüllt werden …“ – Wer genau ist „wir“ und wer entscheidet über welche Konsequenzen, wenn diese Kriterien nicht (mehr) erfüllt sind?
– Nach dem Konzept der Pfarrei der Zukunft ist die Feier der Eucharistie „integraler Bestandteil unseres Christseins und deshalb auch unseres Gemeinde-Seins“. Im gleichen Zusammenhang heißt es auch: „Wir werden Gemeinden haben, wo wir nicht mehr regelmäßig die Eucharistie feiern“ – Damit entfällt ein wesentliches Kriterium für die Gemeindeeigenschaft. Wird diese Gemeinde dann aufgelöst?
– Was genau bedeutet „verlässliche, nachhaltige Personalentwicklung“? Wer bestimmt, wer welche Aus- und/oder Fortbildung benötigt? Wer finanziert das und vor allem, wie soll das geleistet werden, insbesondere, wenn es ehrenamtliche MitarbeiterInnen betrifft?
III. Kritische Fragen zur Sache und zum Beteiligungsprozess
Der dritte Komplex an Rückmeldungen und Fragen lässt sich auch unter die Frage stellen: Wie gehen wir miteinander um?
– Warum wurden die Leitenden Pfarrer nicht in die Überlegungen mit einbezogen, die doch am Ehesten eigene Erfahrungen aus der Realität der Gemeinden einbringen können?
– Warum werden keine Wort-Gottes-Feiern am Sonntag zugelassen, die in anderen Bistümern schon lange praktiziert werden?
– Was wird aus dem, was sich in den letzten Jahren an Positivem in den Gemeinden entwickelt hat? – der aktuelle Strukturplan geht mit keinem Wort auf das ein, was bisher geleistet wurde und wird und zeigt damit keinerlei Wertschätzung gegenüber den Ehrenamtlern. Es war fast übereinstimmend der Eindruck vorhanden, dass erst die Pfarrei der Zukunft das wahre Gemeindesein und Christsein mit sich bringt.
– Es gibt in sich widersprüchliche Aussagen im Video einerseits und in den Begleitunterlagen andererseits (z.B.: „alle Gemeinden sind in die Eucharistiegemeinschaft der Pfarrei eingebunden“ – „Gleichzeitig wird es an einigen Orten die sonntägliche Eucharistie geben …“; oder: „Wahl einer Pfarrstruktur, die Seelsorge bestmöglich fördert und Nähe zu den Menschen schafft“ – größere Pfarreien sind mit Nähe zu den Menschen – wessen Nähe? – nicht vereinbar).
– Die Darstellung der Pfarrei der Zukunft vermittelt den Eindruck, dass wir jetzt erst alles richtig machen werden, wenn die Strukturen neu geordnet sind und dass die bisherigen Leistungen aller Beteiligten vor Ort eigentlich falsch oder nutzlos waren.
– Legitimation des Strukturplans durch „breite Beteiligung“??? – Es wird herausgehoben, dass sich „an die 20.000“ Katholiken durch unterschiedliche Rückmeldungen beteiligt haben. An der online-Umfrage haben 7.000 Personen teilgenommen – was genau ist dabei herausgekommen? Es fehlt an Transparenz!
– Zum Erzbistum Köln gehören 1,9 Mio. Katholiken. 7.000 Rückmeldungen auf die online-Umfrage sind weniger als 0,5%! Repräsentativ geht anders.
– Was genau ist von den Regionalforen in den Strukturplan eingeflossen? – auch hier fehlt es an Transparenz!
– In unserem Seelsorgebereich haben wir uns auch auf den Zukunftsweg begeben und Überlegungen angestellt, wie Kirche in Frechen in Zukunft aussehen kann. Wir haben mehrere Veranstaltungen als Zukunftswerkstätten – anfangs zusammen mit der Leiterin der Diözesanstelle für den Pastoralen Zukunftsweg, Vera Krause – an den unterschiedlichen Gemeindeorten hier in Frechen durchgeführt. Zahlreiche aktive Gemeindemitglieder haben sich in dieser Zeit beteiligt und ihre Überlegungen mit eingebracht. Vieles ist im Laufe dieses Prozesses neu entstanden, was Hoffnung macht, dass es um die Zukunft von Kirche in Frechen gut bestellt ist. Wo und wie werden diese Überlegungen und Entwicklungen mitberücksichtigt?
– Eine Aufgabe des Pfarrgemeinderates der Pfarreiengemeinschaft lautete gemäß der Satzung, ein Pastoralkonzept für den Seelsorgebereich zu erstellen. Dieses Konzept ist unter Beteiligung sämtlicher Gruppierungen, Gremien, und vieler einzelnen, ehrenamtlich Engagierten über einen langen Zeitraum entwickelt und festgeschrieben worden. Jetzt soll in der Pfarrei der Zukunft ein pastorales Zielbild ausgearbeitet werden. Können wir das Pastoralkonzept also in den Müll werfen?
– In der Begleitpräsentation (S. 27) ist schließlich die Rede davon, dass bei der Neuerrichtung der Pfarreien eine „Begleitung durch Abschiedskultur“ und eine „Begleitung durch Aufbruchskultur“ stattfinden soll. Wie genau soll das aussehen? Wer verabschiedet wen? Was genau ist eine „Aufbruchskultur“? Wer gewährleistet das? Unsere Erfahrungen mit „Zukunft heute“ und anderen dynamischen Veränderungen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass eine Abschiedskultur auch da nicht wirklich funktioniert und stattgefunden hat.
– Zum Abschluss zitieren wir noch einmal wörtlich aus einer Rückmeldung, weil diese sehr gut die geäußerten Gedanken zu diesem Komplex (wie gehen wir miteinander um?) zusammenfasst: „Was ich wirklich nicht mehr ertrage, ist das Schönreden des Mangels. Anstatt hinzugehen und zu sagen: ‚Wir sind in einer schweren Situation. Wir haben zu wenig Priester und zu wenig Geld. Jetzt müssen wir gemeinsam versuchen das Beste daraus zu machen‘ – stattdessen wird alles in schönen Schaubildern, die für viel Geld erstellt wurden, und mit blumigen Worten, die keinen mehr erreichen, verklärt. Warum müssen nun schon die Strukturen, die Dank der guten Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlern funktionieren, zerschlagen werden? Es werden wieder die Engagierten sein, die sich dann verabschieden, und neue Ehrenamtler wird man kaum gewinnen.“
IV. Fragen zum geistlichen Prozess
Nun kommen wir zum entscheidenden Argument, das sehr eindringlich wiederholt vorgetragen worden ist: Die Evangelisierung steht im Fokus des Pastoralen Zukunftsweges. Es wird aber ausschließlich von Strukturen geredet und mehr oder weniger nebulös von Glaubensweitergabe. In der Einleitung zum Video haben Sie, sehr geehrter Herr Generalvikar gesagt: „Mir ist es persönlich wichtig, dass die aktuelle Etappe ein geistlicher, ein vom Evangelium geprägter Weg ist“ und „entscheidend ist, dass wir geistlich, d.h. von Gott her, denken und handeln.“ Wir im Seelsorgebereich Frechen sind da völlig mit Ihnen einer Meinung. Leider können wir jedoch dem jetzt vorgelegten Konzept auch nicht annähernd einen Bezug zu einem wie auch immer gearteten geistlichen Prozess entnehmen.
– Woran lässt sich festmachen, dass dem Plan ein „geistlicher Prozess“ zugrunde liegt?
– Wenn die geistliche Grundlage des Christseins Gottes Wort sein soll, sollte auch in dem Strukturplan Bezug auf Gottes Wort genommen werden. Das fehlt komplett!
– Was ist mit den tatsächlichen Fragen, die uns aktuell bedrängen, z. B.
o den vielen Kirchenaustritten
o Folgen von Corona (Menschen erfahren, dass es auch ohne Kirche geht)
o zunehmende Vereinsamung
– Normalerweise werden Strukturen entwickelt, wenn eine von einer Basis ausgehende Entwicklung diese erforderlich macht. So war es auch bei den ersten Gemeinden, deren Entwicklung in der Apostelgeschichte beschrieben wird.
Sehr geehrter Herr Generalvikar, wir haben unsere außerordentliche Sitzung des Pfarrgemeinderates unter das Motto von Psalm 127, Vers 1 gestellt: „Wenn nicht der Herr das Haus baut, mühen sich umsonst, die daran bauen.“ Das ist unsere feste Überzeugung in Frechen, danach wollen wir leben und so soll es sein. Die Pfarrei der Zukunft, die uns jetzt vorgestellt worden ist, lässt uns erheblich daran zweifeln, dass es wirklich um den Bau eines Hauses geht, an dem der Herr mitwirkt. Nach unserem Eindruck ist die viel beschworene Evangelisation nur das Alibi, um die von rein wirtschaftlichen Erwägungen getragenen Überlegungen zur Umstrukturierung schnellstmöglich umzusetzen.
In der Hoffnung, dass unsere Stellungnahme nicht auf dem kürzesten Weg in einem Papierkorb landet, sondern zu einem Überdenken des Konzepts führt, verbleiben wir
mit freundlichen Grüßen
Helga Pöttinger
PGR-Vorsitzende
Christof Dürig
Pfarrer
Monika Wernert-Giesen
stellv. KGV-Vorsitzende